Die in ihrer Dynamik und Materialität eine stark skulpturale Wirkung entfaltende Konstruktion aus rostigen Corten-Stahlplatten scheint in fragilem Gleichgewicht zu verharren. Die wuchtigen Stahltafeln lehnen sich aneinander an und verzichten auf die Ausbildung stabilisierend wirkender Eckverbindungen. Auch Orthogonalität oder Symmetrie als visuell festigende Faktoren spielen keinerlei Rolle: Form gerät in Bewegung und kontrastiert mit der wuchtigen Schwere des Materials. Und inmitten dieser kraftvollen und spannungsreichen Bewegung des rostigen Stahls spannen sich die filigranen Glasflächen des Künstlers Hannes Norberg. Mit einem Verfahren aus mehrfachem Siebdruck werden diese farblich gestaltet und greifen damit wie Schatten die Formen und Proportionen der Architektur auf. Die Form der historischen Butzenscheibe wird als Ornament verwendet und so einem freien Gestaltungswillen unterworfen.
Im Inneren entsteht eine Lichtwirkung, welche die Farbstimmung historischer Glasmalerei erinnern lässt. Wichtigstes Gestaltungselement des Künstlers ist eine Transformation der traditionellen runden Butzenscheibe, die an der Eingangsfront verwendet wird und in stark vergrößerter Form zwischen den Dachscheiben ein fernes Echo findet. Sandgestrahlt erreichen diese Gläser die für Sakralbauten notwendige introvertierte Raumwirkung, die keine Transparenz, sondern nur Transluzenz kennt.
Die über Jahrhunderte verwitterten Sandsteinmauern, an die sich die neue Stahlkonstruktion anlehnt ohne eine echte Verbindung mit diesen einzugehen, finden einen deutlichen Widerhall im lebendigen Korrosionsprozess des Stahls, der in signifikanter Weise die Spuren der Zeit sichtbar macht und ein lebendiges, fast ornamental anmutendes Oberflächenspiel entfaltet. Durch die Schwere des Materials und die plastische Wucht der architektonischen Form werden „Ewigkeitswerte" vermittelt, die als Reminiszenz an den historischen Sakralbau gelesen werden können ohne dass dabei irgendwelche retrospektive Ästhetik bemüht werden müsste. Die geschlossene Form eines homogenen Baukörpers wird aufgelöst, in autonom wirkende Scheiben fragmentiert. Die architektonische Sprache einer schroffen Formgebung mit harten Zäsuren verdichtet sich hier zur Symbolik für eine von herben Einschnitten geprägten Geschichte der Stadt Worms, die sich in der Baugeschichte von St. Paul in exemplarischer Weise wiederspiegelt.
Die 1000-jährige Geschichte des Sakralbaus erfährt mit der Neufassung des Nordportals einen facettenreichen aktuellen Kommentar: Angepasst, aber kompromisslos unserer Zeit verpflichtet.