Freiburger Architektur besticht erst auf den zweiten Blick. Ein Blick, der mehr auf die gesellschaftliche Relevanz von Architektur gerichtet ist. Ein Blick der tiefer geht. Da sind neue städtebauliche Modelle, die Besucherströme aus der ganzen Welt ins Vauban oder Rieselfeld lenken. Da sind energetische Innovationen, die sich mutig und einfallsreich den globalen Zukunftsproblemen stellen. Da sind neue Baukonzepte, die Nachhaltigkeit gegen Ressourcenplünderung setzen. Da sind neue Formen des Zusammenlebens, wie sie beispielsweise in den zahlreichen Freiburger Baugruppen Realität geworden sind oder innerstädtische Wohnprojekte, die sich für Urbanität und gegen den Flächenfraß in der Peripherie stark machen.
Hinsichtlich dieser Themenfelder ist Freiburger Architektur allerdings zum Exportschlager geworden. Und darauf können diejenigen, die sich täglich den komplexen Fragen um das Erreichen einer echten Baukultur stellen, stolz sein.
Freiburg, eine heile Welt? Beileibe nicht. Auch hier gilt es, sich tagtäglich dem schwierigen Kampf um das Bauen zu stellen, der immer weiter fortschreitenden Vernichtung öffentlicher Flächen zu trotzen, eine Baupraxis zu bremsen, die mehr und mehr nur noch in kurzfristigen, egoistischen, kommerziellen und medialen Kategorien denkt. Auch hier gilt es, Fachkompetenz und ideelle Werte trotzig gegen Willkür, politischen Populismus und Verwaltungslogik zu setzen. Es gilt, etwas zu entwickeln, was uns bisher gänzlich fehlt: Eine Vision für ein modernes, zukunftsorientiertes Freiburg. Und dazu ist die Wiederbesetzung des Baudezernates durch einen sachkompetenten Baubürgermeister zwingend notwendig.
Und dann ist da noch die Form. Von Ignoranten oft als unwesentlich, als überflüssige Zutat diffamiert, mit Dekoration und billigem Design verwechselt. Den Baustoffen eine Form zu geben, die über die rein funktionale Zweckerfüllung hinausgeht und die auf überzeugende Weise Inhalte reflektiert, bedeutet nicht weniger, als sich seiner selbst zu vergewissern, sich im zeitlichen Niemandsland zwischen Geschichte und Zukunft zu verankern. Form ist wie Mythologie, verdichtete und transformierte Realität. Wer sich dem Ansinnen verschließt, eine freie formale Auseinandersetzung mit dem heutigen Geschehen jederzeit neu zu führen, driftet ab in identitätslose Beliebigkeit, die zutiefst unmenschlich ist.
Die berühmt gewordene Erkenntnis von Heinrich Zille, dass man mit einer Wohnung einen Menschen ebenso erschlagen könne, wie mit einer Axt, gilt in verschärfter Form für den Bau und Umbau von Städten. Sie taugen zu Aufstiegs- oder Untergangsszenarien ganzer Gesellschaften. Das und nicht weniger ist die Messlatte für gute Baukultur.
In: Wer Kultur hat, der hat Kultur. Instant Verlag